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Gone-itis

Eintrag erstellt von Swing_Kid · - 1257 Ansichten

blog-0366083001340548598.jpgDas Wort Oneitis liest man hier immer wieder. In letzter Zeit gehäuft. Ich setze mich mit dem Thema "Pick Up" erst seit Anfang 2012 auseinander, eigentlich aus reiner Neugier und um mich selbst weiterzuentwickeln. Ich las hier sehr viele gute und originelle Texte von völlig Fremden, jetzt möchte ich auch eine Kleinigkeit aus dem Fundus meiner eigenen Erfahrungen beisteuern.

Die letzte und eigentlich einzige Frau bei der ich gedacht habe, sie sei "the one" ist nun fast 10 Jahre her.

Wir haben fast alles zusammen gemacht, sie war so eine Art Mischung zwischen bester Freundin und, in Ermangelung eines anderen Wortes sage ich einfach mal "Muse" für mich. Weil sie mich antrieb, weil sie mich inspirierte. Oh, sie war so intelligent, hatte Charme, Stil und Lebensfreude ohne Ende und auch für den Rest der Welt der ohne Antennen für sowas durch das Leben kommen muss hielt sie einiges zum Gaffen bereit. Ich brachte sie eines Abends spät von einer Party nach Hause, eine schwüle Nachsommerhitze lag über der Stadt, da kamen wir auf die Idee ins Freibad einzubrechen. Spontan taten wir das und mangels Badekleidung gingen wir nackt ins Becken. Ich hatte bei sowas noch nie Schamgefühl, zog blank und schwamm erstmal ein paar Bahnen während sie sich ziemlich umständlich ins Wasser liess. Ich wunderte mich ein bisschen darüber, dass sie eher durch das Wasser planschte und versuchte, den Kopf krampfhaft oben zu halten, aber als ich näher schwamm sah ich warum: sie hatte ziemliche Sorgen dass ihr Makeup verläuft und diese Sorge war nicht unberechtigt. Sie sah wirklich aus wie eine dieser Tropfkerzen, ich musste spontan lachen. Sie wischte sich in ihrem Gesicht herum und machte alles nur noch schlimmer - aber zusätzlich sah sie so unglaublich gut aus, dass sie mir fast unheimlich wurde, mit ihren langen, kupferroten Haaren und ihrer perlweissen Haut. Mit ihren hellblauen, klugen Augen und diesem Mund, dem ein spöttisches Lächeln stets gut stand. Und wenn ich ehrlich bin hatte ich auch für den Rest mehr als nur ein Auge übrig.

Ich schwamm zu ihr ins flache Wasser, die komplette Bemalung lief ihr durch das Gesicht, der schwarze Vorhang war ziemlich gefallen. Ich überspielte meine Unsicherheit und machte ein paar dumme Witze, wie das Typen immer machen die versuchen ihre Unsicherheit zu überspielen. Wir standen voreinander, mit meinem Daumen begann ich, ihr vorsichtig das Schwarz von der Wange zu streichen. Meine Hand berührte ihre Wange und obwohl wir nass waren, war ihre Haut samtig weich. Es war nicht, als würde ich über Haut streichen, ich dachte so müssten sich die Wolken auf denen Engel sitzen anfühlen wenn man die Hand nur weit genug zu ihnen ausstrecken könnte. Mir wurde klar dass ich sie heute das erste Mal bewusst berührte, einfach nur um sie zu berühren, nicht wie eine Freundin. Sie war still und ich lachte auch nicht mehr, es war totenstill, nur das Wasser klatschte leise an den Schwimmbeckenrand. Ich strich ihr mit einer Hand die Tinte aus den Augen und von den Wangen, meine andere Hand baumelte ziemlich nutzlos an der Seite bis ich mich überwand, sie umarmte und wir uns küssten. Gott, war das gut, sie war gut. Wir hatten beide Beziehungen mit anderen gehabt, gemeinsam darüber geredet, gelacht usw., aber das hier war anders. Wir berührten uns mit den Lippen und es war als würde flüssiges Metall nach langem Sieden endlich in eine Form gegossen. Ich wusste sofort dass mir alle anderen Frauen egal sein würden, solange ich sie haben konnte und ich wollte nur sie allein und keine andere mehr. Alles darüber hinaus war mir scheissegal, solange sie nur bei mir bliebe und ich sie nicht verlieren würde. Ich wollte sie nie mehr hergeben. Und dieses Gefühl wäre nichts gewesen wenn ich nicht gespürt hätte dass es bei ihr genauso war. Wir wollten uns so sehr, dass wir alles andere darüber vergaßen. Danach lagen wir zusammen im Gras und sie sagte wie lange sie darauf gewartet hätte, wie glücklich sie sei. Ich sagte ihr dass ich sie liebe und sie fing gleichzeitig an zu weinen und zu lachen und sagte dass es ihr genauso ging, schon seit Monaten. Wir lagen einander in den Armen, versprachen uns törichte Dinge und konnten die Nacht nicht voneinander lassen, nicht schlafen. Es war ein intensives emotionales und körperliches Verlangen zugleich. Als die Sonne aufging brachte ich sie nach Hause.

Am selben Tag musste sie nach Berlin, für eine Woche. Sie wollte ein paar Dinge dort erledigt haben, weil sie vorhatte dort zu studieren. Nach diesem Abend wollte sie das nicht mehr. Sie wollte ihre Pläne ändern und bei mir bleiben, hatte aber ein paar Freunden und Verwandten zugesagt sie zu besuchen. Ich liess sie wie selbstverständlich ziehen, ich konnte nicht mit, mein eigenes Studium lief weiter. Nachdem wir ihre Sachen gepackt und etwas gegessen haben lagen wir noch stundenlang in ihrem Bett und haben auf den Moment gewartet, in dem ich sie dann zum Bahnhof brachte und verabschiedete. Ich habe die Sache danach nicht an die große Glocke gehängt; wir wollten unseren Eltern und Freunden gemeinsam sagen, dass wir "zusammen" sind. Damals war das irgendwie eine hochoffizielle Sache, juhu wir sind zusammen. Gefühlt waren wir das schon. Wir haben täglich telefoniert, jeden Abend, am 3. Tag hat sie sich nicht gemeldet aber ich habe mir nichts Großes dabei gedacht. Am nächsten Morgen rief ein gemeinsamer Freund an: sie war eine Treppe hinuntergefallen. Sie hatte bereits einmal vor Jahren einen Ohnmachtsanfall gehabt, verlor da einfach das Bewusstsein, als hätte jemand den Stecker herausgezogen. Die Ursache wurde nie festgestellt, die Sache wurde vergessen und irgendwann dachte niemand mehr daran dass es wieder passieren könnte. Jetzt war sie an einem Schädelbasisbruch gestorben. Man hatte sie leblos in einem Treppenhaus aufgefunden. Mir war als hätte mir jemand den Teppich unter den Füßen weggezogen. Ich dachte man müsste bei sowas anfangen zu heulen, ohnmächtig werden oder sonstwie körperlich stark reagieren, aber mir wurde einfach nur der Mund staubtrocken. Ihre Beerdigung war eine Woche später, es wurden viele Tränen vergossen, ich hatte nur das Bedürfnis etwas starkes zu trinken. Ich musste oft daran denken wie ich ihr den Maskara aus den Augenwinkeln gestrichen habe, im kalten Wasser, erinnerte mich noch an das Zittern unter ihrer Haut das langsam ruhiger wurde. Wo waren meine Tränen geblieben? Waren seitdem wirklich nur wenige Tage vergangen? Waren es nicht in Wirklichkeit Jahre? Da lag sie nun in diesem Kasten aus Holz, in einer großen Kirche. Das alles kam mir so merkwürdig vor, so falsch.

Auf dem Weg zum Friedhof wurde es regnerisch. Wir schoben uns durch den Wind und den Niesel hinter dem Sarg her und Schirme wurden aufgespannt. Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern wie ich eigentlich am Friedhof angekommen bin, wo dieses Loch im Boden war, kann mich nicht an die Worte des Priesters erinnern, kann mich nicht erinnern wer nah beim Grab stand. Aber ich kann mich daran erinnern, dass ich in einen Himmel blickte der keinen Regen mehr spuckte und sah, wie die Wolken über uns hinweggezogen wurden, als würde dort ein Film mit einer Zeitrafferaufnahme laufen. So kontraststark sah ich die Wolken nie zuvor, sie wälzten sich über uns hinweg, in einer unglaublichen Geschwindigkeit. Ich stand irgendwo weiter hinten und musste lächeln, denn diese Auftritte haben zu ihr gepasst wie nichts anderes. Sie liebte das große Publikum, genoss es wenn sie in einen Raum trat und die Köpfe sich in ihre Richtung drehten. Das mag jede Frau, aber sie konnte das haben wann immer sie wollte. Ich empfand es als so passend, die ganze Kulisse.

Ich würde so gerne sagen dass ich diesem Tag mein Mädchen beerdigt habe. Aber das habe ich nicht, und war sie überhaupt mein Mädchen? Wir hatten diese Nacht, wir hatten uns und unsere Freundschaft und unsere sehr kurze aber intensive Liebe. Ich stand irgendwann vor diesem Loch in das man den Kasten aus Holz in dem sie lag versenkt hatte, nahm eine Handschaufel und streute Erdreich hinein, wie schon etliche Menschen vor mir. Ich tat es wie jeder andere auch, nicht länger, nicht kürzer. Ich schaute in den Himmel, ich weinte nicht, ich hatte keinen Kloß im Hals und alles war irgendwie surreal. Wir fuhren nach Hause und redeten über die Zeit mit ihr, über unsere Erlebnisse, über all das. Aber ich redete nie über diese Nacht, ich sagte nie jemandem ein Wort, wollte das alles einfach vergessen. Jahre zogen vorbei und es verging kein Tag an dem ich nicht an sie gedacht hätte, immer nur kurze Erinnerungen, aber mein Leben ging weiter. Frauen kamen und gingen, ich verliebte mich neu, wieder und wieder. Manchmal dachte ich tagelang nicht an sie. Irgendwann dachte ich, ich hätte sie auch für mich beerdigt. Aber das war nicht so, ich konnte sie nicht vergessen, sie nicht wirklich loslassen. Es vergiftete mein Leben, es vergiftete meine Einstellung zu Frauen und zur Liebe allgemein. Liebe ist nichts rationales und sie endet auch nicht mit logischen Unmöglichkeiten. Ich musste das Loslassen mühsam erlernen, es war ein langsamer und quälender Prozess der über viele Zwischenstationen und emotionale Leichen geführt hat.

Und heute schaue ich auf all das zurück und fühle mich reich. Ich begann die Erinnerung wertzuschätzen und zu bewahren, den Schmerz zu umarmen und zu ersticken. Nach langer Zeit nun blicke ich ruhig auf all dies, auf mein Leben und das was noch kommen mag und ich bin wirklich entspannt, ich habe keine Angst und bin glücklich. Ich begann, Liebe als etwas zeitlich begrenztes wahrzunehmen, das man jeden Tag neu geben kann und das sich nie erschöpft. In meinem Herzen sind viele Kammern gefüllt mit den Dingen, die mir geschenkt wurden - jedes einzelne hat seinen besonderen Wert. Natürlich haben manche versucht, mir all das wieder wegzunehmen, Essig in meinen Wein zu kippen, mich emotional zu verletzen weil sie glaubten ich verdiene es. Aber das geht nicht. Sobald die guten Erinnerungen einmal dort angekommen sind, kann sie mir keiner mehr nehmen. Jede Beziehung hat ein natürliches Ende, jede Liebe ist begrenzt, spätestens am Grab endet sie. An ein Jenseits zu glauben in dem wir all das fortführen können würde mein Leben zur Qual machen, daher glaube ich nicht daran. Ich glaube an das Reale, an das Göttliche in jedem, das wir uns gegenseitig schreiend, lächelnd, weinend, einander in den Armen liegend vor die Füße werfen und das man nur aufheben muss um es für immer behalten zu können.

Es ist nicht grundlegend falsch eine Frau ewig zu lieben - auf eine gewisse Weise. Ich denke jeden Tag an die ein oder andere Frau, viele von ihnen haben mir wichtige Lektionen über das Leben erteilt. Ich bin fest davon überzeugt, dass ich die wirklich entscheidenden Dinge über die ich mich definiere von Frauen gelernt habe. Da ist dieses kleine Museum in meinem Kopf, das all dies enthält. Es ist allerdings falsch, sich im Schmerz zu erinnern. Jemanden nicht loslassen zu können, sich mit aller Macht an eine verlorene Sache zu klammern. Sich in bester Moby Dick Manier an seinen weißen Wal zu binden, der einem so viel Gutes aber auch Schreckliches angetan hat und mit ihm unterzugehen. Ich denke jeder hat so etwas. Aber es ist ein wichtiger Schritt, sich in Frieden von seinen verlorenen Träumen und Wünschen verabschieden zu können, zu wachsen, sich neu zu erkennen und zu akzeptieren und das Rad weiter zu drehen. Und immer weiter. Je früher man lernt, dankbar für all die gegenwärtigen Dinge zu sein, desto früher kann man sie loslassen wie man schlussendlich alles irgendwann loslassen muss. Wir sollten unendlich dankbar für die Momente sein die wir haben und sie intensiv leben so lange es nur geht. Denn dann müssen wir nichts bereuen, wenn wir zurücksehen sehen wir stets das, was wir gewonnen haben.

So, genug für heute. Das nächste Mal erzähle ich euch davon, wie mich meine psychopathische Ex-Freundin einmal fast mit einem Küchenmesser abgestochen hätte und werde darüber philosophieren, warum viele Männer auf Frauen mit großen psychischen Problemen stehen.



9 Kommentare


Empfohlene Kommentare

Klasse Beitrag! Du hast es verstanden worum es geht. Respekt für den gut geschriebenen Text! Respekt dafür, dass du deine Gefühle offen aussprechen kannst. Ein genialer Text mit einem lehrreichdem Ziel. Deinen Blog werde ich in Zukunft weiter verfolgen.

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Toller Text. Danke, für diese offenen Worte und Gefühle!

Edit: möchte nur anregen zukünftige Texte als Thread zu öffnen. Sieht man eher und wäre schade wenn es unter dem Radar der meisten bleibt

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Verdammt, warum habe ich das gelesen?

Ich werde jetzt sicher wieder Tagelang depri schieben, herzlichen dank.

@UNSC117 als Thread kommen sich nur 100 ich bin so alpha ich habe solche Probleme nicht posts.

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