Promotion durchziehen oder Wechseln

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Hallo PU-Forum,

ich selbst bin fertiger Ingenieur, 29 Jahre alt und momentan in einem Forschungsinstitut angestellt. Allerdings bin ich mit meiner Situation momentan recht unzufrieden. Eigentlich sollte ich mitten in meiner Doktorarbeit sein, in meinem Forschungsthema aufblühen, allerdings gibt es da einige Hürden, welche ich selbst nicht direkt bewältigen kann.

Vor 3,5 Jahren habe ich meinen Abschluss gemacht und bin durch einen persönlichen Kontakt an die Stelle gekommen. Hat sich alles schön angehört, mein chinesischer Chef hat viele Versprechen gemacht, wie toll alles hier doch ist und wie gut die Möglichkeiten sind. Ich habe ihm erstmal geglaubt. Angefangen habe ich mit normaler Projektarbeit und konnte nach 2 Jahren mit meinem Promotionsprojekt loslegen. Dafür sind offiziell 30 Stunden pro Woche für das Projekt geplant und meine Diss. soll ich in meiner privaten Zeit anfertigen.
Dann kommen aber nach einiger Zeit auch die ersten Probleme auf:


-    Mein Promotionsprojekt startet mit 9 Monaten Verzögerung, weil die Industriepartner vorher keine Zeit gefunden haben.


-    Meine direkte fachliche Ansprechperson geht psychisch in Richtung LSE, LD und ist wirklich nicht ganz dicht (~50 Jahre alt, ehemalige Bulämie, unverheiratet und eher ein „es“ als ein Mann oder Frau): Sie gibt mir teilweise fachlich falsche Hinweise und Erklärungen, welche ich erstmal widerlegen darf. Das ganze kostet Zeit, Energie und ist kein Wissen, was ich bei der Promotion irgendwie gebrauchen kann. Sie macht meine Arbeit etwas parallel. Es sieht für mich aber eher so aus, als ob sie meine Ergebnisse auf mögliche Fehler überprüft aber selbst keine konstruktiven Hinweise gibt, wie ich meine Arbeit effizienter machen könnte. Am liebsten würde ich jeglichen Kontakt mit ihr Vermeiden, was aufgrund des Projektes aber nicht möglich ist.


-    Mein direkter Vorgesetzte ist Chinese und hat auch eine chinesische Arbeitshaltung. Selbst arbeiten tut er gerne, macht es auch in seiner Freizeit und verlangt es auch von seinen Mitarbeitern. Natürlich nicht für direkte Projektarbeit, aber eine Veröffentlichung soll schon in der Weihnachtszeit mitgeschrieben werden, welcher er dann auf einer Konferenz in Südafrika selbst vorstellt.


-    Die Promotion soll durch mich alleine geschehen, wirkliche fachliche Hilfestellungen oder thematische Fragen kann ich zwar mit meiner Gruppe besprechen. Thematische und fachliche Randbedingungen durch einen Professor habe ich nicht, allerdings habe auch keine Zeit diesen Fragestellungen nachzugehen, weil ich meine Zeit für die direkten Ergebnisse aufbringen soll.


-    Überstunden werden ungerne gesehen, solange man sie aufschreibt. Wochenendarbeit wird ebenfalls nicht gerne gesehen, solange ich sie zeitlich erfasse.


-    In 3,5 Jahren habe ich 50 ausstehende Urlaubstage angesammelt, welche ich irgendwie nicht nehmen will, weil das Projekt und die Promotion fertig werden sollen. Das heißt eine wirklich freie und psychisch entspannte Zeit habe ich nicht.


-    Für die Promotion braucht man einen Doktorvater, welchen ich bisher nicht habe. Ein paar Gespräche hatte ich schon, allerdings an guten Unis, welche Spitzenforschung betreiben. Für sie ist meine Projektarbeit allerdings zu „ingenieurlastig“ und der wissenschaftlich „innovative“ Teil fehlt. Allerdings wurde mein Projekt von einer Forschungsvereinigung bewilligt, welche meine Arbeit sehr wohl als innovativ einschätzt. Ein Professor hat zwar mündlich zugestimmt, nun aber von der Uni eine Absage bekommen und auf meine Kontaktversuche (Emails) antwortet er nicht mehr ? next. Doch ohne Kontakte geht da nicht wirklich viel und auf einer Konferenz will mich mein aktueller Chef mitnehmen, weil es nichts bringt. Einen Professor dort anzusprechen wäre aus meiner Sicht dennoch sinnvoll und erfolgsversprechender als blinde Emails.


-    Meinen Chef interessieren nur die direkten Ergebnisse, die Zeit um eine solide Grundlage für die Forschung aufzubauen fehlt mir. Zudem weiß ich auch nicht, ob ich sie denn wirklich gebrauchen kann, da der Doktorvater ultimativ darüber entscheidet, ob die Themen direkt verwendbar sind.


-    Alle 3-4 Jahre gibt es an unserem Institut eine Mitarbeiterumfrage, welche offiziell sehr wichtig ist. Die Ergebnisse werden extern genauestens analysiert, Verbesserungsvorschläge werden ausgearbeitet aber NICHT umgesetzt. Meine Kritikpunkte tauchen auch in den Umfragen auf, werden aber von den Vorgesetzten beiseite gewischt. „Wir haben die Kritik aufgenommen, aufgrund der Situation ist aber eine Änderung der Lage nur schwer umsetzbar.“


Also hänge ich an meinem Institut alleine in der Luft rum, mein Vertrag läuft in 2,5 Jahren aus, eine Verlängerung ist nur mit abgeschlossener Promotion möglich. Eigentlich genügend Zeit um meine Promotion fertigzustellen, doch läuft mein Projekt bald aus und dann muss ich wieder irgendwelche Nebentätigkeiten machen, welche für meine Promotion absolut irrelevant sind. Eigentlich sollte ich in meinem wissenschaftlichen Gebiet richtig durchstarten, doch irgendwie krebse ich irgendwo bei den grundlegenden Fragestellungen rum, welche von akademischer Seite schon längst geklärt sind. Auf der anderen Seite könnte ich mich zwar irgendwie noch durchbeißen, ob ich dafür aber noch die Energie habe, ist fraglich. Bei den Gesprächen mit meinem Chef hat es sich in etwa so angehört, als ob ich für die ganzen Verzögerungen und wenig guten Ergebnisse verantwortlich bin. Bei einer Psychologin war ich ebenfalls und sie meinte, dass ich mich selbst für Sachen verantwortlich mache, für die ich nicht verantwortlich bin.


Weil ich für mich realisiert habe, dass ich die Situation selbst am Institut nicht ändern kann, habe ich mich auch nach einer Alternative umgeschaut. Also habe ich eine Bewerbung geschrieben, zwei Bewerbungsgespräche gehabt und auch eine Zusage erhalten. Der Bereich wäre interessant (Achterbahnen konstruieren), allerdings zahlt das Büro im Allgemeinen weniger als die anderen Branchen. Ich kann davon jedoch ganz gut leben und die Work-Life Balance wäre damit machbarer als an meiner aktuellen Stelle. Mit einer Promotion und dem Einstieg in die größeren Konzerne könnte ich zwar das 1,5 fache verdienen, ob ich mich dort aber wohl fühlen werde, kann niemand garantieren.

Meine Situation kommt mir allerdings alles andere als normal vor und deswegen frage ich hier nach, wie ihr meine aktuelle Lage einschätzen würdet und ob ihr die eine oder andere Anregung habt, welche für oder gegen den Wechsel spricht.

Danke fürs lesen =),
Hejsan

bearbeitet von Hejsan

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Ich fasse mal zusammen:

  • Du bist mit deiner normalen Arbeit schon völlig ausgelastet
  • Du hast deine Promotion noch nicht mal vorbereitet - du hast keinen Betreuer, sondern bewegst dich gerade blind in einem Bereich, auf den du später hoffst
  • Du hast nur noch 2,5 Jahre Zeit.

Man rechnet mit ner 50% Stelle für eine Promotion 3-4 Jahre. Du hast sogar nur 25% deiner Arbeitszeit für die Promotion - zumindest theoretisch. Hieße: Eher 5-6 Jahre. Zudem hast du keinen Betreuer und kein festes Thema. Stehst also noch völlig bei 0.

vor 36 Minuten, Hejsan schrieb:

Ein paar Gespräche hatte ich schon, allerdings an guten Unis, welche Spitzenforschung betreiben. Für sie ist meine Projektarbeit allerdings zu „ingenieurlastig“ und der wissenschaftlich „innovative“ Teil fehlt. Allerdings wurde mein Projekt von einer Forschungsvereinigung bewilligt, welche meine Arbeit sehr wohl als innovativ einschätzt.

Du sollst halt mit der Promotion belegen, dass du in der Lage bist, selbstständig wissenschaftlich zu forschen. Und das ist eben nicht "Ich mach ein Ingenieurprojekt". Ich denke deine Aufgabenstellung ist da einfach unpassend für diese Richtung. Das zeigen dir ja auch die Absagen der Profs.

Insgesamt: Mit den Eckpunkten kann das nichts mehr werden. Da hast du keine Chance.

Ich glaube, dass du da in den letzten Jahren aber auch einiges selbst verschuldet hast...

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Ich glaube, dass du da in den letzten Jahren aber auch einiges selbst verschuldet hast...

Das kann vielleicht so sein, allerdings hätte ich mir mehr erhofft einiges an Unterstützung vom Insitut zu bekommen. Zum Beispiel durch die versprochenen guten Kontakte des Instututs oder eben durch den Insitutsleiter selbst. Der hat aber andere Interessen und eine andere Thematik und wollte die Diss. nur im Ausnahmefall übernehmen. Die Aussage meines Chefs: "Bei uns haben sie sehr gute Möglichkeiten zu promovieren." habe ich vielleicht zu sehr für bare Münze genommen. Solange nicht einmal klar ist, welches Projekt ich bearbeiten soll, kann ich mir keinen Prof. aussuchen, dann sollte ich mich mehr einarbeiten und dann läuft die Zeit rum, in welcher ich eben schon 100% ausgelastet bin. Ich wollte meine Arbeit eben gut machen und habe dabei meine persönlichen Ziele komplett vernachlässigt. Hätte ich etwas mehr Erfahrung, wie eine Promotion aussehen kann und einen besseren Austausch z.B. durch direkten Kontakt mit einem Professor, welcher etwas zu sagen hat, wäre es definitiv anders gelaufen. Ich rede eben gerne mit Menschen und die Arbeitsweise alleine etwas zu produzieren in der Hofffnung, dass es jemand gut findet liegt mir nicht. Insbesondere wenn Leute, wie mein Chef meinen, die Erwartungen, Vorstellungen und Interessen von anderen Personen, wie z.B. vom Prof. "weiß man doch". Ich kann eben keine Gedanken von Personen, welche ich nicht kenne, lesen.

Meine aktuelle Problemstellung kann ich zwar selbst bearbeiten und laut Aussage meines direkten Vorgesetzten auch für die Diss. verwenden. Ob das aber den Prof. interessiert kann nicht gesagt werden. Meine bisherige Lösungsstrategie mich einfach noch mehr anzustrengen, noch mehr zu leisten führt wohl nicht zum Erfolg und lässt mich dann nur selbst ausbrennen. Den Vergleich mit dem blinden bewegen passt relativ gut. Ich fühle mich eher so, als ob ich einen Marathon in der Wüste rennen soll, den auch schaffen kann, aber ich nicht weiß wo das Ziel ist, weil ich keine Karte habe, wohin ich mich bewegen soll.

 

Zitat

Und das ist eben nicht "Ich mach ein Ingenieurprojekt".

Das kann es eben doch sein. Es gibt Leute, die haben ein solches Projekt bearbeitet (Umfang etwa 300.000€), den Bericht fertig geschrieben und deisen dann beim Professor direkt eingereicht. Ob es da aber in meinem thematischen Bereich genauso ist und sich ein Prof. findet, der das einfach so unterstüzt ist eben fraglich. Diese Möglichkeiten gehen eher mit Industriepromotionen einher, bei denen diese Professur eben durch Drittmittel der Industrie finanziert wird und die Übernahme der Diss. eher eine Gefälligkeit darstellt. Die Synergieeffekte zwischen der thematischen Fragestellung des Projektes und der Diss. können eben viel erleichtern und eine fast feste Promotion bilden, oder eher gar nichts bringen. Genau dieses in der Luft hängen fuckt mich eben total ab.

Persönlich würde ich selbst sowieso mal mit einem geordneten Leben durchstarten, in der ich mich auch wieder um mich selbst, meine Freunde,  Tanzen und Hobbys direkt kümmern kann, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben.

bearbeitet von Hejsan

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Hallo, Hesjan,

ich habe in Rechtswissenschaften promoviert und war dabei nicht auf Dritte angewiesen, daher mag unsere Situation nicht vergleichbar sein. Allerdings war ich zum Zeitpunkt der Anfertigung der Arbeit bereits voll berufstätig.

Elementar war zunächst die Auswahl des Doktorvaters und die Abstimmung des Themas. Ohne dies hätte ein "Losarbeiten" für mich wenig bis keinen Sinn gemacht.

Die Erkenntnis, die ich danach gewonnen habe, ist, dass ich im Rahmen meiner Promotion ausschließlich auf mich selbst gestellt bin. Herzdame zitiert zutreffend aus jeder Promotionsordnung: Die Universität verlangt eine selbständige wissenschaftliche Leistung. Im Verlaufe eines Promotionsvorhabens gilt es, einen riesigen Berg widriger Umstände zu überwinden, denn, anders als beispielsweise im beruflichen Umfeld, ist niemand außer mir selbst daran interessiert, dass ich die Arbeit fertigstelle (nicht meine Kollegen, in vielen Situationen nicht die Partnerin, gelegentlich nicht einmal der Doktorvater). Also muss ich mich gegen alle Widerstände alleine durchbeißen, ohne mich darüber zu beschweren, dass andere nicht für mich, nicht mit mir oder gar gegen mich arbeiten.

Zwei Sprüche aus Pick-Up fallen mir spontan dazu ein: "Being a man is a lonely business." Und: "Wer will, findet Wege, wer nicht will, findet Ausreden."

Auch ich habe mehrfach darüber nachgedacht, mein Projekt aufzugeben. Da ich jedoch wusste, dass eine Unvollendete mir immer ein Stachel in meinem Fleisch sein würde, habe ich mich entschlossen, meine Arschbacken zusammenzukneifen und die Arbeit zu vollenden.

Nach langer Vorbereitung parallel zu meiner beruflichen Tätigkeit habe ich mir schließlich eine durch Ersparnisse finanzierte mehrmonatige Auszeit von Job und sonstigen Verpflichtungen genommen, um die Arbeit abzuschließen, was ich sonst niemals geschafft hätte.

Aus meiner Sicht daher in dieser Reihenfolge: Doktorvater suchen, Thema festzurren, detaillierten Zeitplan erstellen, Finanzierung für die gesamte Zeit sicherstellen, externes Coaching organisieren, Loslegen. Ist nach meiner Erfahrung auch nicht schwieriger oder anders zu bewerkstelligen, als ein berufliches Projekt. Das sollte mit Deiner beruflichen Erfahrung in 2,5 Jahren oder sogar weniger zu machen sein. Eine kurze Promotionsphase empfiehlt sich auch deshalb, damit nicht andere, die möglicherweise unerkannt parallel an dem selben Thema arbeiten, schneller veröffentlichen ...

Viel Erfolg.

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bearbeitet von Explorer1
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