Aufgrund einer Neuorientierung von @Antidote, um mehr Awareness für sexuelle Gewalt zu schaffen, möchte ich eine Diskussion starten.
Dafür exemplarisch ein Ausschnitt:
Ein Punkt, der mich zum Nachdenken bringt. Woanders hat er zusätzlich geschrieben, dass man nicht voraussetzen darf, dass Sex, wenn er denn stattfinden, auch automatisch auf gegenseitigem Einverständnis beruht.
Mein Punkt bewegt sich jetzt um das damit verbundene Problem, nämlich: Wie erreiche ich positiven Consent?, sowie die Frage: Liegt automatisch ein entschuldigungswürdiger Fehler vor, wenn eine Grenze unbeabsichtigt überschritten wurde?
Darf ich ihre Hand nehmen? Darf ich sie küssen? Darf ich ihre Brust berühren? Darf ich ihre Hose öffnen? Darf ich sie unten anfassen? Darf ich sie penetrieren?
Und zwar ohne dass der Consent explizit verbal erfolgt.
Plötzlich blockt sie auch noch. Shit! Ich will doch kein Vergewaltiger sein! Was tun?
Das Problem, das ich sehe, wenn man übervorsichtig ist: dass es sich nicht mehr mit dem Konzept der Führung verträgt, wo man eine Frau symbolisch an die Hand nimmt, und ihr einen Weg vorgibt, um ihn gemeinsam zu gehen. Wenn jemand sehr schüchtern ist, und sich für jeden Schritt entschuldigt, dann sendet er damit das Signal, dass er was Falsches gemacht hat. Natürlich, in gewisser (bzw. eindeutiger) Weise hat er das auch. Es war aber nicht seine Intention, Grenzen zu überschreiten, sondern eine Intimität herzustellen, wo nunmal einer den ersten Schritt machen muss. Jetzt zeigt er mit seiner Entschuldigung aber, dass nicht nur die Tat, sondern auch seine Absicht eine Verwerfliche ist.
"Wenn man das ehrlich tut versaut einem das auch nichts." Da wäre ich mir nämlich nicht so sicher. Ich finde, man kann damit durchaus eine Frau vergraulen, die eigentlich offen wäre für mehr Intimität, aber von den eigenen Selbstzweifeln abgeschreckt ist; und die sie mitunter als unmännlich emfpindet.
Ich persönlich habe in meiner Vergangenheit viele Situationen erlebt, wo Frauen die eigene Zurückhaltung oder auch die eigene Entschuldigung als abturnend erlebt haben. Und mir das auch so direkt gesagt haben. Daher war mein Rat in diesem Forum bisher, dass man sich nicht rechtfertigen muss bzw auch nicht sollte, wenn eine Frau blockt.
Ich orientiere mich ein wenig an einen Satz von Jordan Peterson, der sagte, es muss eine Unterhaltung über Consent geben. Daher von mir Fragen an die Schwarmintelligenz:
Wie verträgt sich eurer Meinung nach Consent mit Führung? Ist zuviel Zurückhaltung schädlich?
Ist es noch OK, ohne eindeutige nonverbale Signale körperlich zu eskalieren?
Darf man sich für einen Schritt entschuldigen, oder macht das auf Dauer unmännlich?
Dasselbe passiert hier auch gerade.
Ich sehe, ich muss mit meinen Prämissen noch weiter zurückgehen, und noch eine viel fundamentalere Unterscheidung treffen.
Du hast was von Naturals geschrieben und sagst, PU würde sich nicht von "normaler" Verführung unterscheiden - was auch immer das sei.
capitalcat hat diese Unterscheidung wie du ebenfalls schon kritisiert und gesagt: "PU stellt für mich die alltäglichen Dynamiken zwischen Mann und Frau dar."
Und da sage ich: Das ist zu einfach gedacht.
Um meinen Standpunkt zu verstehen braucht es einen Exkurs in die Wissenschaftstheorie. Dort gibt es eine Position, die sich "struktureller Realismus" (nach Worrall) nennt, und behauptet, dass beim Wandel von Theorien ein struktureller Gehalt erhalten bleibt. (So gibt es etwa ein Beispiel vom Wechsel der Äthertheorie des Lichts zu Maxwells elektromagnetischer Theorie des Lichts, wo dessen "Struktur" als mathematisches Gebilde erhalten blieb.)
So kann man für Verführungssituationen eine bestimmte Struktur der Gegebenheiten annehmen (zum Beispiel, dass es einen Mann und eine Frau gibt).
Es fehlt aber der Inhalt, und der wird erst durch die jeweilige konkrete Theorie bestimmt.
Man könnte hier sagen, "alltägliche" Verführung ist eine unkonkrete, undifferenzierte Betrachtung von Verführung. PU ist jetzt aber keine bloße Abbildung der unreflektiert erlebten Verführungssituation, sondern geht ideologisch darüber hinaus. Frauen werden etwa nach HB Skalen sortiert, es gibt "Bitch Shields", "IOIs", es gibt "Closes", "Buying temperature" und dergleichen mehr. PU ist da durchaus eine "Form", in die die Verführungssituation gegossen wird, und im Grunde handelt es sich um einen mächtigen ideologischen Überbau.
Letztlich würde ich sagen:
PU entspricht dem klassischen Bild eines wissenschaftlichen Paradigmas nach Kuhn.
Kuhn beschreibt, dass es in Wissenschaften Paradigmen gibt, die die "Denkwelt" eines Wissenschaftlers vorgeben, und die letztlich einander abwechseln; also grundsätzlich nicht beständig sind. So etwa der Wechsel von einem geozentrischen zu einem heliozentrischen Weltbild oder von einer behavioristischen zu einer humanistischen Psychologie. Theorien unterliegen dabei einem Wandel, der durch Revolutionen eingeleitet wird; und eine Theorie kann nur dann abgelöst werden, wenn eine andere bereit ist, ihren Platz einzunehmen. Das Paradigma gibt dabei Denkregeln vor und definiert überhaupt erst, was als Gegenstand und was als Problem der Theorie gelten darf.
PU ist eine bestimmte Sicht auf Verführung, die definitiv keiner "alltäglichen" Auffassung von Verführung entspricht. Es ist ein eigenes Theoriengebäude mit seinen eigenen Regeln und seinen eigenen Gesetzen.
Daher auch meine Bezeichnung als geschlossenes bzw. halb-geschlossenes System - denn die Theorie, dh PU, bestimmt, auf welche Weise eine Verführungssituation in den Blick gerät und die Theorie bestimmt, auf welche Weise Probleme gelöst werden dürfen.
PU ist nicht "alltägliche" Verführung.
PU ist eine ganz bestimmte Art, Verführungssituationen zu begreifen und entspricht keiner "natürlichen" Veranlagung. PU ist ein künstlich geschaffenes Theoriegebilde.
Aus diesem Grund kann ich auch die Kritik an meinen Behauptungen verstehen - denn Menschen, die in einem bestimmten Paradigma denken und leben, tun sich schwer, sich außerhalb dieses Paradigmas zu bewegen bzw. ein Außerhalb überhaupt anzuerkennen. Das passiert meiner Meinung nach auch hier. Es wird geleugnet, dass PU ein Paradigma ist.
Ein gutes Beispiel hierfür ist der Vergleich mit RedPill: Hier stehen mit PU und RP zwei Paradigmen nebeneinander, die um die Vorherrschaft konkurrieren. Genau das haben wir hier im Forum erlebt.
Eben nicht.